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Beartooth und „Disease“: Es kann jederzeit zu spät sein

Caleb Shomo setzt sich mit seinen Depressionen auseinander – once again.
Doch das ist nicht repetitiv, sondern Aufklärung. Musikalisch kommt „Disease“ so knackig und frisch daher, wie man es sich nur wünschen kann.

Die Liste der depressiven oder anderweitig mental gesundheitlich beeinträchtigten Künstlerinnen und Künstler jeder Gattung ist lang. Dass Beartooth Frontmann Caleb Shomo seit vielen Jahren mit Depressionen kämpft, ist längst kein Geheimnis mehr. Und das ist gut so.
Shomos neueste Veröffentlichung klingt nach wie vor wie Beartooth. Wie sollte es auch anders sein, schreibt er doch nach wie vor sämtliche Musik quasi allein. Dabei wirkt „Disease“ aber insgesamt etwas ausgedünnt und definierter im Sound. Eine Steife Brise, die im Takt zum Donnern der brechenden Wellen an den Haaren zerrt.
Bereits im Opener „Greatness or Death“ stellt Frontmann Shomo eines klar: Entweder seine Krankheit führt zum Höhenflug, was das musikalische Schaffen betrifft oder sie bringt ihn um. Schlicht und einfach. Wenn doch nur alles so schwarz - weiß differenzierbar wäre.
In „Disease“ gesteht er ein, dass er Angst hat, der nächste Depressionsschub könne sein Leben beenden. Das ist ein so surreales Gefühl für jemanden, der von dieser Krankheit nicht betroffen ist. Die Schwere und Dramatik lässt sich nicht nachvollziehen. Vielleicht trägt Beartooths Musik aber dazu bei, dass das Thema mentale Gesundheit zugänglicher wird.
Trotzdem verschließt sich sogar Shomo selbst davor und gibt lieber vor, es gehe ihm okay, als dass er durchaus reale Angst verspürt.

Doch nicht nur die Macht, die mentale Krankheiten über einen Menschen erlangen können, finden Platz auf „Disease“, auch das Zusammenreißen und Aufbegehren, das aktive dagegen Ankämpfen finden Platz auf dieser Platte. Die Songs „Fire“, „Manipulation“ und direkt daran anknüpfend „Enemy“ zeigen klare Kante gegen die Depression und werfen ihr ihr missliches Treiben fein seziert vor. Beschuldigt Shomo in „Manipulation“ das Gegenüber des Vertrauensmissbrauches und eben der Manipulation, beginnt „Enemy“ im Anschluss mit der Zeile „I've had enough of your trust“ und haut dieses dem Gegenüber um die Ohren.
Eine besondere Nummer ist „You Never Know“. Songwriter Shomo hat diese mit Drew Fulk (WZRD BLD) gemeinsam geschrieben, nachdem die beiden sich bei einem Kaffee über ihre aktuelle Situation, insbesondere hinsichtlich der mentalen Gesundheit austauschten. Quintessenz ist die Unberechenbarkeit der Krankheit. „You never know until you know“ klingt sehr stark nach „Hinterher ist man immer schlauer“ und vermittelt das bedrückende Gefühl, es könne jederzeit bereits zu spät sein.
Schön sind die unterschiedlichen Dynamiken der Songs. Beartooth hatten schon immer sangliche Parts in ihren Liedern. Doch auf „Disease“ sind diese öfter auch mal Protagonist, wie zum Beispiel in „Disease“, „Manipulation“ oder „Believe“. Ersterer besticht zusätzlich durch schallende Oh-oh-oh Chöre.

Insgesamt schallert „Disease“ wirklich von vorne bis hinten. Scheinbar gibt es kein Füllmaterial in Shomos Mixtape-Herz. Oder er versteht es einfach, dieses sehr sorgfältig auszusortieren. „Disease“ ist eine im Sinne des Wortes hervorragende Platte, die sehr detailliert feine Einblicke in die Art und das Wesen der Krankheit Depression gibt.

Fazit

8.4
Wertung

Immer noch Beartooth, immer noch nicht langweilig. Caleb Shomo knüppelt sich hier regelrecht durch seine Leiden. Die Musik ist vermutlich sein Ventil, vielleicht auch Teil seiner Therapie. Jedenfalls versteht sich der Mann auf das Komponieren von Metalcore-Hits.  

Merten Mederacke